12 Okt 2017

Was Abstand ausmacht

Ich schlendere gerne durch die Stadt. Als ich Kind war, nannte man das Schaufensterbummel. Damals fand ich es langweilig, die Auslage von Klamottenländen zu betrachten, um zu wissen, was die neueste Mode war. Ich wollte lieber zu den Spielzeugläden und mir dort an der Scheibe die Nase platt drücken. Die vielen Herrlichkeiten ließen mein Kinderherz höher schlagen. Das fand meine Mutter doof. So kamen wir oft nicht zusammen.

Innovative Dekorationen locken Kunden

Heute bewegen mich andere Eindrücke. Oft mischt sich das private Interesse und der berufliche, professionelle Blick. Natürlich erschreckt mich, wie sich die immer gleichen Ketten mit ihrem austauschbaren Sortiment breit machen. Neuerdings bleibe ich gerne vor den Fenstern des Alsterhauses stehen. Neugierig auf die neueste Idee der Dekorateure. Sie inszenierten hier schon mal senkrechte Gärten. Neulich sah ich wehende fenstergroße Segel, die im diffusen Durchscheinen Kernsätze zum Thema Schönheit freigaben.

In meinem Wohnort gibt es auch so ein Schaufenster, bei dem ich jedes Mal neugierig auf die nächste Deko bin. Ein Hörgeräteakustiker. Hörgeräte sind sicher nicht der Hingucker per se. Im Gegenteil. Weder finde ich diese Geräte schick, was nur heißt, dass am Produktdesign noch Luft nach oben ist. Noch bin ich gezwungen, mich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Spannend ist einzig und allein wie der Ladeninhaber sein Produkt visuell in Szene setzt. Ich habe den Eindruck, er liebt, was er da verkauft. Das würde mich motivieren, jemandem, der ein Hörgerät braucht, diesen Laden zu empfehlen.

Die Macht des Visuellen

Ganz anders ein zweites Geschäft mit gleichem Angebot. Hier vermittelt der Inhaber eine gewisse Lieblosigkeit in der Gestaltung. Das Schaufenster bietet Tristess und Langweile. Trotzdem unterstelle ich beiden Geschäftsleuten die gleiche Fachkompetenz.

Als Beraterin würde ich den Firmeninhaber des zweiten Ladens bitten, mit mir auf die gegenüberliegende Straßenseite zu gehen und von dort auf sein Geschäft zu sehen. Gemeinsam würden wir die Straße entlang spazieren, wie es Passanten tun. Wir würden darauf achten, was zu sehen ist und welchen Eindruck es auf ihn macht.

Mit vielen Einzelhändlern habe ich bereits dieses Experiment unternommen. Der Effekt ist durchschlagend. Der Blick von außen, nämlich der ihrer Kunden verändert auch die eigene Wahrnehmung. Plötzlich wird klar, was falsch läuft, warum Umsätze rückläufig sind, warum sich Menschen im Ladenlokal nicht aufgehoben oder gar unwohl fühlen. Es ist nicht eine Frage der fachlichen Kompetenz, sondern des Vertrauens. Dieses wird gerade im Einzelhandel auch über den visuellen Eindruck vermittelt. Worte und Empfehlungen können viel bewirken. Das Schaufenster und das Ladenlokal sind die Visitenkarte des Unternehmens.

Machen Sie die Probe aufs Exempel: In welche Läden gehen Sie am liebsten?

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